Siemens W28, ca. 1936
Inzwischen hab ich gelesen, es gibt einen Gegentrend zur Digitalisierung des Alltags. Hätte man mir das früher gesagt, hätte ich es nicht erfinden müssen 🙂
Von daher: Willkommen im letzten Jahrhundert! Hier gibts noch Telefone mit echten elektromechanischen Klingeln statt nervigem Elektrogedudel. Hier nimmt man noch den Hörer von der Gabel. Und man weiss vorher nicht, wer anruft. Verpasste Anrufe sind verpasst, kein blinkendes Lämpchen erzwingt seine Aufmerksamkeit um es einem aufzudrängen (ich kann es aber in der Fritzbox nachgucken). Hier braucht man noch Telefonnummern im Kopf oder auf Papier, die man dann von Hand eingibt. Hier gibts noch Wählscheiben und sogar schon Tasten (die sich damals nur zögernd durchsetzen konnten). Es gibt keine Menus, keine gespeicherten Einstellungen, keine Firmware, keine Updates. Hier lenkt einen nichts ab vom Gespräch, keine bunten Bildchen und keine Katzenvideos im Gruppenchat. Und Telefon schrieb sich Telephon, jedenfalls vor meiner Zeit.
Jaja, die gute analoge Zeit. Dabei fing es so harmlos an: Ich wollte einfach mein stark strahlendes DECT-Telefon abschalten und ersetzen. Klar, ich hätte mir ein strahlungsreduziertes DECT-Telefon kaufen können. Aber das wäre zu einfach, und ein großes Übel wäre nur durch ein kleines Übel ersetzt worden. Und überhaupt, noch mehr Zeug aus China…
Man kann so einen neuen Bedarf ja auch zum Projekt machen. Und tadaa: Nach wenigen Tagen hatte ich eine Flut von alten Telefonen zur Hand:
Das war das erste, ein W48, zu teuer gekauft. Die Wählscheibe und die Schaltmechanik dahinter sind schon mal ersetzt worden, vermutlich aus einem FeTAp 61er Typ (die buckeligen mausgrauen oder dunkelkotzgrünen Dinger der 70er). Wenigstens die Scheibe musste wieder originalgetreuer werden. Die Originalscheiben der W48 passen!
Dann kam dieses Set aus den Kleinanzeigen dazu. Das orangene Tastentelefon unten links hat ein defektes Gehäuse und war eine kostenlose Beigabe zum schlachten. Die Sprechkapsel habe ich umgebaut, die passt nun in das W48 (Rückseite des Gehäuses abgesägt und isoliert, Anschluss im Hörer mit Kabeln, im Hörer müssen die Federbleche weg). Das orangene Wählscheibentelefon bekam eine nette Kollegin geschenkt. Sie zeigt jetzt ihren Kindern wie man früher telefoniert hat.
Das ist ein W49 vom Flohmarkt. Die sind schon seltener. Man kann sie als Wandtelefon umbauen. Hör- und Sprechkapsel fehlen. Die ‘Hörerschnur’ muss instandgesetzt werden. Im Fachjargon heisst der Hörer ‘Handapparat’. Und die Klingel heisst ‘Wecker’. Es gibt wohl keinen Postbeamtenwitz, der dazu nicht schon gemacht worden ist 🙂
Ein paar Bilder vom W49:
W48 und W49 zusammen. Die Bakelit-Gehäuse werden mit Spüli gereinigt, wo nötig noch mit Bremsenreiniger und Zahnbürste. Dann polieren mit Nevr-Dull: Einfach mit der Politur einreiben und gründlich (>30 Minuten!) eintrocknen lassen. Dann mit einem sauberen Poliertuch kräftig polieren.
Die Wählscheibe des W48 habe ich schwarz lackiert. Das ist aber noch keine endgültige Lösung.
Die drei 80-er Jahre Schätzchen aufgearbeitet.
Dann bekam ich noch diese Ausschlachtgeräte aus den Kleinanzeigen von einer sympathischen Verkäuferin.
Das schwarze Wandtelefon ist ein W51. Von der Hörergabel ist ein Zacken abgebrochen, ich betrachte es also mal als Ersatzteillager mit der Option eines späteren Aufbaus. Die Wählscheibe ist an mein W48 ausgeliehen.
Dann flog mir noch ein Konvolut alte Telefone zu:
Bei zwei der grauen Mäuse und bei dem ockerfarbenen FeTAp 791 ist der Kunststoff leider schon so stark verfärbt, dass sie nur zum Schlachten taugen. Genug Material z.B. um das 61er Wandtelefon herzurichten, das graue in dem Foto weiter oben.
Das braune Tastentelefon ist noch mit Impulswahl und interessiert mich nicht weiter. Es funktioniert aber. Das Sel Consul von 1981 funktioniert zwar auch, ist mir aber von zu primitiver Qualität. Aussen hui, innen pfui. Und es hat Störgeräusche im originalverplombten Hörer. Statt Metallglocken hat es einen Signalgeber als Wecker. Nee danke. Nicht mal auf Ebay kauft die jemand.
Ein Telefon aber konnte verwendet werden, und auf das hatte ich es abgesehen. Eine graue Maus, sozusagen die Sorte Telefon aus meiner Kindheit:
Ein FeTAp 612-1, Baujahr 1964. Hersteller Richard Bosse & Co. Nix besonderes, aber auch kein privates Nebenstellentelefon. Es steht groß POST auf der Rückseite. Gute Qualität, funktionierte auch noch bis auf die Sprechkapsel, und brauchte die übliche Reinigungsprozedur der Kunststoffteile. Das Hörerkabel konnte gegen eins der anderen Telefone getauscht werden, das in besserem Zustand war. Auffällig ist die Wählscheibe mit dem kleinen Durchmesser der Papiereinlage. Die gab es nur Anfangs. Auch die Fassung um die Erdungstaste gab es bei der Post nicht lange. Das Telefon bekam dann die Transistorkapseln aus dem ockerfarbenen 791er des Konvoluts. Die Kabelstecker passten so, die alten Kapselhalter mussten raus und Schaumgummi hinter die neuen Kapseln gestopft werden.
Schliesslich wollte ich meinen Bestand an unerledigten Telefonen verringern und habe mir mal das W51 Wandtelefon vorgenommen:
Das Gehäuse hatte ich schon früher mal gereinigt, so musste es nur zusammengeschraubt werden. An Kapseln kam halt rein was noch so über war.
Rechts im Bildhintergrund fröhnt meine Einrichtung der Spiessigkeit, ich meine das ironisch 😉
Der Zacken an der Hörergabel ist natürlich immernoch abgebrochen. Jetzt gibt ein Stück Draht dem Hörer Halt. Wahrscheinlich bleibt das nun lange so. Vielleicht kann ich ja mal günstig Ersatz für die Gabel bekommen.
Ein sammelwürdiges Telefon musste noch sein, ein W28. Das ist ein Vorkriegsmodell. Genau genommen ist es ein Nebenstellenapparat SA28 mit Erdungstaste.
Die Baureihe wurde ab 1928 produziert, meins ist von ca. 1936 (Datum auf dem großen Kondensator). Es war einiges zu tun, bis es funktionierte.
Von der Erhaltung ist es in einem guten Zustand, alles original. Den Handapparat (‘Hörer’) sieht man in der Ausführung auch nicht oft auf Google-Bildern.
Die Mechanik der Wählscheibe musste neu eingestellt werden. Der Fliehkraftregler hatte gar keine Wirkung, die Scheibe drehte viel zu schnell. Es gibt sogar noch eine Einstellanleitung dazu, die natürlich nicht ‘Anleitung’, sondern amtspreussisch ‘Vorschrift‘ heisst. Die Kontakte mussten natürlich alle gereinigt werden.
Dann hatte das schön geflochtene Hörerkabel einen Wackelkontakt. Das musste also gekürzt und neu angeschlossen werden. Später wurde es ersetzt. Die Kapseln sind anscheinend noch original und zumindest auf der Sprechkapsel steht ein Datum: 12/34. Solche Kohlekapseln haben aber eine begrenzte Nutzdauer und es ist schon selten, eine so alte Kapsel zu finden. Jetzt musste sie ersetzt werden.
Natürlich liefen die Reparaturschritte nicht so linear wie hier dargestellt. Da war einiges an Versuch und Irrtum dabei. Und auch das Nummern wählen geht nicht immer reibungslos. Die Fritzbox ist da etwas zickig. Aber das Timing stimmt jetzt, 1 Sekunde für die Null. Wie man das prüft? Man dreht mit dem Smartphone ein Video davon wie man ‘eine Null wählt’ und guckt sich das in Zeitlupe an.
Der Wecker (Klingel) klingelte immer nur kurz an. Wegen meiner Vermutung, dass das mit einem Defekt des großen Kondensators zusammen hängt, habe ich den ersetzt und den Kondensator aus dem W51 eingebaut, der ist von 1959. Leider hatte das keine Wirkung. Also kam der alte Kondensator wieder rein. Der hat gemessen 2uF, also zu viel. Das gibts bei alten Kondensatoren. Immerhin, einen Kurzschluss hat er nicht, was ein typischer Fehler wäre. Das Problem kommt anscheinend von der Fritzbox. Wenn ich zusätzlich mein W49 an den zweiten Anschluss anstecke, klingelt auch das W28 normal.
Zum Schluss gab es die übliche Politur mit Nevr-Dull. Nicht zu viel, nur eine pflegende Politur, keine unnatürliche Hochglanzpolitur.
Das Folgende könnte man als Pfusch bezeichnen, ich nenne es pragmatisch. Und da alles rückbaubar ist, kein Verlust: Ich habe die alten Kapseln durch moderne Transistorkapseln ersetzt.
Die Sprechkapsel wird mit einer Handsäge vorsichtig geöffnet, verkabelt und isoliert. Im Handapparat müssen die Federbleche weg. Dann werden die Kabel angeschlossen, die Kapsel eingedrückt und alles geschlossen. Funktioniert einwandfrei. Die Originalkapsel im Bild links von 1934 wird nicht angerührt.
Bei der Hörkapsel ist es noch einfacher. Die muss nicht aufgesägt werden. Nachdem die Federbleche im Handapparat entfernt wurden passt die rein. Der Anschluss geschieht auch hier mit Kabeln. Allerdings habe ich parallel zur Hörkapsel noch zwei Dioden antiparallel angelötet, um laute Knackgeräusche zu unterdrücken. Spätere Telefongenerationen haben diese bereits im Hörer eingebaut.
Die Verständigung ist viel besser, die Hörkapsel lauter und die Sprechkapsel frei von Rauschen und Knistern. Die Originalkapseln und die Federbleche werden aber gut verwahrt.
Die gleiche Prozedur habe ich auch beim W48 und W49 gemacht. Die Transistorkapseln stammten alle aus Ausschlacht-Telefonen aus den 70er und 80er Jahren.
Mit dem W28 sind nun meine Telefonsammelwünsche erfüllt. Sag ich mal so…
Was jetzt noch hinzukommt ist eine analoge Nebenstellenanlage ‘Auerswald ETS-1006 Fax’, mit der ich bis zu 6 Telefone betreiben kann.
Die Anlage stammt vermutlich von Ende der 1990er Jahre, bis frühe 2000er Jahre und kam mit 3,5″ Diskette und Anleitung, gebraucht auf Ebay geschossen. (Anfang der 2000er hatte ich noch ein 56k-Modem, man musste sich ‘einwählen’, wenn man online gehen wollte.)
Alles was dieses Ding machen soll, ist erstens die Impulswahl ‘flüssig’ zu verstehen, da ist die Fritzbox sehr zickig. Das funktioniert jetzt gut. Ich hatte ja Glück, dass meine Fritzbox überhaupt noch Impulswahl versteht. Jetzt wird sie aber von der Anlage mit Tonwahl versorgt. Impulswahl rein, Tonwahl raus. Und das fehlerfrei.
Zweitens soll die Anlage immer nur eins der angeschlossenen Telefone klingeln lassen, wenn jemand anruft. Das kann man direkt von dem jeweiligen Apparat aus durch Wahl einer Programmiernummer einstellen. Hervorragend!
Die beeindruckend vielen übrigen Funktionen brauche ich nicht. Die sind auf 120 Handbuchseiten beschrieben. Für den Spieltrieb kann man aber auch von jedem Telefon aus jedes andere anrufen.
Jetzt noch Kabel verlegen und Telefondosen montieren, dann ist das fertig.
Und mein nächster Spleen: Fernschreiber 🙂